Selektiver Mutismus ist eine psycho-soziale Angststörung mit Verhaltensbesonderheiten (erstarrte Mimik, leerer Blick, eingeschränkte Gesten) und unterscheidet sich von normaler Schüchternheit und anderen Entwicklungsbeeinträchtigungen. Selektiver Mutismus ist ein wiederkehrendes Schweigen, in immer gleichen, genau definierten Situationen und dauert länger als vier, bei Mehrsprachigkeit acht Wochen an. Das Kind kann prinzipiell sprechen und Sprache verstehen, spricht aber in bestimmten Situationen nicht, während es zu Hause und mit vertrauten Personen durchaus sehr expressiv und viel redet (Nachholbedarf). Weitere Persönlichkeitsbesonderheiten können abweichendes Essverhalten, Ein- und Durchschlafstörungen sowie dominantes und aggressives Verhalten (meist nur im häuslichen Bereich) sein.
Kein Kind schweigt, weil es dies will!
Schweigen ist kein Ausdruck von Trotz oder Protest, auch wenn dies bei einigen in bestimmten Situationen so wirkt. Grundsätzlich haben diese Kinder den Wunsch, mit anderen Menschen zu reden und leiden oft sehr unter ihrem Schweigen. Etwa eins von 100 Kindern zeigt ein solch extremes Schweigen. Mädchen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Jungen. Die Gründe für dieses Schweigen können sehr unterschiedlich sein. Deshalb ist es notwendig, in der ambulanten Psychotherapie situativ immer wieder neu und der Entwicklung entsprechend agieren zu können. Meine langjährigen beruflichen Erfahrungen mit unterschiedlichen Methoden sind hierbei hilfreich.
Der selektive Mutimus kann bereits im dritten Lebensjahr beginnen, bei manchen Kindern zeigen sich Trennungsängste, die von Eltern und Fachkräften nicht erkannt werden, weil diese Kinder ihre Ängste still durchleben und in sich gekehrt sind. Neben dem Klammern an der Bezugsperson gehört passives, abwartendes Verhalten und im Gruppenraum stehen ohne sichtbare Regung zu einer der Strategien dieser Kinder, um mit ihrer Trennungsangst umzugehen. Eine frühzeitige ambulante psychotherapeutische Behandlung mit Beginn im Kindergartenalter kann das Risiko einer Schulphobie deutlich verringern.
Schulphobie
Bei einer Schulphobie wird die Angst auf die Schule verschoben und führt bei Kindern sowie Jugendlichen dazu, dass sie wochen-, manchmal sogar monatelang nicht die Schule besuchen. Ein objektiver Grund ist dafür nicht erkennbar. Meist treten somatische Begleitbeschwerden wie Bauch- und Kopfschmerzen, Übelkeit, Herzrasen/Herzklopfen, Erbrechen auf, die vorgeschoben werden, um den Schulbesuch zu vermeiden. In den Situationen kann es zu Schweißausbrüchen, Erröten, Zittern und Schwächegefühl kommen. Auch Schlafstörungen, Muskelverspannung und Stupor können auftreten. Eine medizinische Abklärung erfolgt meist ohne Befund. Obwohl die Lernbereitschaft bei den meisten Kindern und Jugendlichen mit Mutismus sehr hoch, bei vielen der IQ sogar überdurchschnittlich ist, meiden die Betroffenen weiterhin den Schulbesuch und können so relativ angstfrei und ohne Leidensdruck leben. Diese Vermeidungsverhalten führt allerdings zu gravierende Auswirkungen: die soziale Isolation wächst, Schuldgefühle und depressive Stimmungen verstärken sich, der Leistungsrückstand wächst und führt zur Wiederholung eines Jahrgangs. Dem gegenüber steht die Alleinstellung im Klassenverbund, wenn die Betroffenen zur Schule gehen.
Die sensiblen Kinder und Jugendlichen sind sich ihres Schweigens bewusst und haben Angst vor der Aufmerksamkeit Dritter, die ihnen zuteilwürde, würden sie unvermittelt anfangen zu sprechen. Aufgrund ihrer störungsspezifischen Biografien haben Betroffene oft wenig Erfahrungen mit sozialen Kontakten und entwickeln diffizilere Persönlichkeitsprofile. Allein der Gedanke, vertraute Angewohnheiten loszulassen, bereitet besonders älteren Kindern große Sorge. Je länger die Störung bereits besteht, umso komplexer gestaltet sich die therapeutische Beziehungsarbeit. In einem Erstgespräch können die Vorstellungen zu den gewünschten Veränderungen, die in einem definierten Zeitrahmen erreicht werden sollen, besprochen werden.